Freitag, 6. Juli 2007

Von Ökologie, Moral und kuriosen Folgen

Mittwoch morgen wachen wir auf und fragen uns, was am letzten Abend in unser Essen geraten war. Eine Fernsehsendung, die unser ökologisches Bewusstsein kurzerhand auf den Kopf gestellt hatte. Oder doch nur geträumt?

Egal, das Kaltwasser lassen wir laufen, bis es richtig kalt ist. Wer Fische einmal kopfüber im Aquarium taumeln sah, will seinen Kaffee nicht mit Blei versehen. Ab jetzt auch noch guten Gewissens. Bei der ersten Tasse streichen wir die in eine Zisterne umgewandelte Abortgrube und setzen stattdessen eine großzügige Gartenbewässerungsanlage in's Pflichtenheft. Bei der zweiten Tasse (hochökologisch bleifrei) entwerfen wir einen kommunalpolitischen Schlachtplan zur Gebührenänderung.

Ist die Bau(m)herrin jetzt völlig durchgeknallt? Nein, sie hat nicht geträumt, schaut mal im Archiv der ARD.

Den Text des Beitrages habe ich kurz in die Tastatur geklappert:
Jedes Kind weiß: Wassersparen fängt beim Zähneputzen an. Wasser ist teuer, besonders in Berlin. Familie Rodenkirchen spart, wo sie nur kann. "Beim neuen Geschirrspüler haben wir auch darauf geachtet, dass der sehr wenig Wasser verbraucht." Trotzdem, die fünfköpfige Familie zahlt bei einem durchschnittlichen Berliner Wasserverbrauch, kaum zu glauben, 1016 Euro im Jahr für Abwasser und Frischwasser.
"Das ist unser Wasserverbrauch im letzten Jahr."
"Ne, das kann ja wohl nicht sein. "
"Doch."

Also: Sparen, sparen. Wo immer es geht. Es wird in extra-sparsame Perlatoren investiert und in einen besonders wassersparenden Duschkopf. Und für's kleine Geschäft: Nur die Spartaste. Trinkwasser von hoher Qualität hat halt seinen Preis.

Während die Bürger um jeden Tropfen Wasser kämpfen, sind die Wasserwerke mit einer rätselhaften Routinearbeit beschäftigt. Immer häufiger heißt es an den Hydranten der Stadt: "Wasser Marsch!". Tausende Liter gutes Trinkwasser fließen in den Gully, denn durch die Sparwut der Bürger steht das Frischwasser zu lange in den Leitungen, Verkeimung droht.

"Durch die wenige Wasserentnahme, oder es wird ja immer weniger in den letzten Jahren, bleibt det Wasser drin stehn, also wir haben nen stehended Wasser theoretisch, weil die Leute nicht soviel abnehmen. Und durch diesen Wasseraustausch sorgen wir dafür, dass eine Verkeimung gar nicht erst entstehen kann."

Wassersparen ist aber auch ein Problem für das Abwasser. So sieht es in den Kanälen aus. Weil die Haushalte immer weniger verbrauchen, verschlammt alles. Es entsteht Schwefelsäure. Und die frisst Löcher in die Rohre. Das Gegenmittel: den Schlamm rauspumpen und dann kräftig spülen. Was die Bürger an Wasser sparen, müssen die Wasserwerker direkt in den Kanal schicken. 14 solcher Spezialkommandos sind pausenlos in Berlin unterwegs und blasen mit Hochdruck den Kanal wieder frei. So wird Sparen richtig teuer.

Jörg Simon, Vorstandsvorsitzender Berliner Wasserbetriebe: "Ja, ich muss Ihnen ehrlich sagen, wir haben große Probleme mit dem rückläufigen Verbrauch. Das spiegelt sich im Kanalnetz, im Rohrnetz, auf die Klärwerke in den Wasserwerken nieder. Ein Beispiel im Kanalnetz: Die Faulungsprozesse fangen im Kanal an, dadurch werden die Nutzungsdauern der Kanäle kürzer, und wir müssen früher reinvestieren in die Kanäle, was wiederum zu Kostenerhöhungen führt. Insgesamt muss man sagen, haben wir wesentlich höhere Betriebskosten dadurch."

Die Zahlen: Während der Durchschnittsberliner am Tag vor fünfzehn Jahren noch 138l Wasser verbrauchte, sind es heute weniger als 115 Liter. Im selben Zeitraum stieg der Preis inklusive Abwasser von 2,66€ auf 4,84€ pro Kubikmeter. Eigentlich kein Wunder.

Jörg Simon: "Sie müssen sich das so vorstellen: Wir haben insgesamt in der Wasserbranche relativ hohe fixe Kosten. Für Klärwerke, Wasserwerke, für die Netze, die wir vorhalten. Bei dem Rückgang des Verbrauches müssen diese festen Kosten auf weniger Kubikmeter umgelegt werden, was dann zu höheren Preisen führt. "

Wie sehr Ulrich Rodenkirchen auch mit dem Verbrauch geizt, seine Wasserrechnung wird immer teurer. Ein Teufelskreis, den dieser Mann jetzt durchbrechen will: Jürgen Leist. An der Uni Hannover erforscht er seit Jahren das Wasserspardilemma und plädiert für eine ökonomische Binsenwahrheit, die aber beim Wasser in Vergessenheit geraten ist. Soll der Verbrauch steigen, muss der Verbrauchspreis runter.

"Das absolut Problematische bei der Preisstruktur der Wasserversorgung besteht darin, dass fast ein ausschließlicher Verbrauchspreis erhoben wird und nur ein sehr geringer Grundpreisanteil. Und dies führt dazu, dass beim Bürger praktisch eine wahre Sparwut initiert wird, mit all den negativen Folgenwirkungen. "

Sein Vorschlag: Kräftig hoch mit dem Grundpreis pro Haushalt. Der Preis pro Liter wäre dann minimal. Kein Grund mehr zum Sparen. Unterm Strich würde alles sogar billiger, also Duschspaß ohne schlechtes Gewissen.

Doch ist das auch ökologisch zu verantworten? Eindeutig Ja.

Dr. Jörg Rehberg, Bundesverband deutsche Gas- und Wasserwirtschaft: "Das Wassersparen ist aus ökologischen Gründen in Deutschland nicht erforderlich. Die öffentliche Wasserversorgung nutzt lediglich 3% der vorhandenen Ressourcen. Wir haben also eine sehr komfortable Situation, es besteht keinerlei Wasserknappheit in Deutschland."

Im Gegenteil: die Wassersparwut hat in Deutschland derartige Ausmaße angenommen, dass der Verband der Wasserwirtschaft jetzt erstmals öffentlich ein grundlegend neues Gebührenmodell fordert.

Rehberg: "Unser Verband setzt sich dafür ein, dass die Preisstruktur so geändert wird, dass erheblich höhere Grundpreise entstehen. Gleichzeitig der mengenabhängige Preis dafür sinkt. "

Wie hoch kann dieser Grundpreis dann sein?

Rehberg: "Da wir in der Wasserwirtschaft bis zu 80 % fixe Kosten haben, müsste es auch in diese Richtung eigentlich gehen. "

Und was heißt das für die Wasserrechnung? Die Rodenkirchens zahlen mit dem neuen Modell statt 1016€ nur noch 480€ jährlich. Weniger als die Hälfte.

Leist: "Gewinner des neuen Gebührenmodells wären insbesondere Familien mit mehreren Kindern, die deutlich entlastet werden würden. Während auf der anderen Seite Single-Haushalte oder Wenigverbraucher mehr zahlen müssten. Dies wäre aber letzten Endes gerecht, da die Kosten der Wasserversorgung primär, allein durch den Anschluss entstehen, an das Netz, unabhängig von der Verbrauchsmenge."

Stattdessen werden Wasserwerke dicht gemacht, wie hier in Berlin Johannistal, weil zu wenig Wasser verbraucht wird. Nun steigt das Grundwasser und ganze Stadtteile drohen abzusaufen. Kuriose Folge: die Pumpen müssen in Betrieb bleiben. Und so rauschen Tag für Tag 25 Millionen Liter bestes Grundwasser ungenutzt in den Telptow-Kanal. Und den Kindern erzählt man, dass sie Wasser sparen sollen.

Übrigens: die Gebühren werden nicht von den Wasserwerken, sondern von den Stadt- und Gemeinderäten festgelegt, und die wollen nichts verändern, weil sie befürchten, dass ihnen dann Wählerstimmen abhanden kommen.
Ja und wir - die Bau(m)herrenschaft - konnten die Folgen verschlammter Kanäle vor ein paar Jahren live vor Ort begutachten. Es begann mit einem rabenschwarzen Horizont. Kurz darauf sprudelte es hüfthoch aus den Kanaldeckeln. Dann liefen Wohnungen voll. Nicht mit Wasser. Das Zeugs lässt sich kaum beschreiben. Seine Gerüche heben Schweineställe in den Adelsrang einer Parfümerie, die Konsistenz stellt Asphalt, Beton & Co in den Schatten.

Werte Politiker, die Ihr mit erhobenem Zeigefinger weiterhin unbemerkt Euren Klingelbeutel füllen wollt, wappnet Euch. Bau(m)herrin entwickelt ein Sondereinsatzkommando für das persönliche moralische Wohlbefinden: Schlammkratzen in hochwassergeschädigten Wohnungen.
PS: an der Häuserfront nichts Neues - morgen bekommen wir zwei Entwurfsvarianten vorgelegt.

2 Kommentare:

Unknown hat gesagt…

Also zunächst einmal finde ich den Artikel richtig gut geschrieben.
Und nun zu eigentlich Problematik Wasser sparen: Ich denke viele Sparen das Wasser nicht um der Umwelt einen Gefallen zu tun, sondern um gegen die Kosten anzukämpfen und ich denke auch, wie es im Artikel steht, dass die Leute erst aufhören, wenn der Preis sinkt. Man kann nicht erwarten, dass Leute mehr Wasser verbrauchen und dann hoffen das der Preis runter geht. Desweiteren sollte man darüber nachdenken, evtl. mal die Rohrleitung bei der nächsten Sanierung zu verkleinern, damit man nicht mehr so viel Wasser zum durchspülen brauch.

Armin hat gesagt…

Der Witz ist, dass genau da die Crux begraben liegt... Auf das großeWasser sparen reagieren die Konzerne mit HÖHEREN Preisen. Die Politik reagiert gar nicht. Wieso? Weil sie einfach durch die Lobbyisten unter Druck gesetzt wird. Wie das funktioniert? Ganz einfach: Wenn die Preise sinken und der Verbrauch auch, müssen Arbeitsplätze geopfert werden. Arbeitsplätze, die zwar in der mittleren Frist woanders wieder entstehen (z.B. in der Industrie für Sparduschköpfe) in der kurzen Frist jedoch verloren gehen. Politiker sind leider an eine kurze Legislaturperiode gebunden. Macht ist also sehr flüchtig. Wird man nicht wieder gewählt, ist die Macht auch schon wieder pfutsch. Wie wird man wiedergewählt? Na in dem man Arbeitsplätze schafft.

Wenn die Konzerne jetzt also die Preise mit fadenscheinigen Argumenten anheben, kann die Politik nichts dagegen tun. Im Gegenteil. Fortschritt und Nachhaltigkeit werden so unterdrückt. Schlechte Planungen veralteter Industrieriesen muss mal wieder der Verbraucher ausbaden.

Danke System. Du funktionierst so, wie es sein sollte.... (/Ironie aus).