Mittwoch, 29. August 2007

Kompromisse

"Preise soll man bekanntlich immer zuletzt nennen", erklärte die kluge Natursteinexpertin unseres Vertrauens heute am Telefon. Das nächste Telefonat begann gleich mit: "Wenn Sie in der Lage sind, mindestens x.5xx Euro pro qm zu bezahlen, können wir Ihnen das System gerne vorstellen." Keine Ahnung, ob ich in der Lage bin und das wird auch nicht näher überdacht. Denn ich bin nicht dazu bereit. Auf die Nachfrage, ob es in der Nähe private Referenzobjekte gäbe, wurde mir erklärt, die Art von Privatleuten, die in dieses System investieren (also in der Lage dazu sind?) seien nicht bereit, ihr Haus vorzuzeigen. Und zu dieser Art Privatleute will ich nicht gehören.

Leise meldet sich beim Auflegen des Telefons der Fensterprofilknall im Hinterkopf. Ich beruhige ihn mit meiner spontan entwickelten Strategie: die Vertriebspartner dieses Systems machen auch noch andere Dinge, da werden wir schon noch was finden, mit dem wir leben können. Außerdem sind Zahlen Schall und Rauch. Wir haben über 9 Meter Fensterfront, da können wir auch mit Profilen von 5 bis weißnichtwieviel Zentimetern leben. Nur bitte eines nicht, das bitte nicht: eine Pfosten-Riegel-Fassade, in der die beweglichen Elemente mit fetten Rahmen drin sitzen. Ich weiß, dass das momentan der architektonische Hit ist und Bau(m)herren sich tunlichst zurückhalten sollten, aber das nicht. Auch nicht das Autohaus oder die neuapostolische Kirche auf dieser Referenzseite. Oder gar das dritte Objekt hier mit den gelben Fenstern. Höchstens, wenn man mit soviel Kunst und Buchstaben ablenkt wie da.

Im Tessin gibt es einen Vertriebspartner, der auch andere Objekte durchführt. Mit den Schiebetür-Fronten à la Michele Arnaboldi können wir gut leben. Dabei müssen sie nicht silbern sein. Sogar damit könnten wir leben, das ist dann aber auch die Grenze unserer Kompromissfähigkeit.

Und *schluchz* wir begegnen einer Steindusche. Für heute ist genug, wir werden nicht nachfragen, ob dieser Stein unser hießiges Wasser verträgt oder gar, wieviel der qm kostet. Vielleicht wäre es besser, keine Schweizer Websites mehr zu besuchen. Der Franken steht momentan günstig, ein Rustico von Giovan Luigi Dazio könnte vielleicht drin sein....

Noch wandern wir nicht aus, wir haben nur ein kleines Stimmungstief, nachdem der Stamm-Italienier gestern wortreich ausführte, warum er im Leben nie in Deutschland bauen würde. Zum Trost bot er mir an, einen guten Natursteinverleger aus seiner Heimat zu organisieren.

Alle Gespräche führen nach Vals

Der Barkeeper unseres Hotels ist architektur-interessiert und schickt mich in ein neues Restaurant im Ort. Die hätten den Granit sehr modern und schick verarbeitet. Und yep, das gefällt uns.

Unsere Nachforschungen in Sachen Stein haben inzwischen eine Quelle aufgemacht, an der wir den Tessiner "Granit" erstehen können. Wir haben sogar Muster erhalten. Dabei wurde deutlich, dass Transportkosten und -zeiten eine Rolle spielen. Eine weitere Frage ergibt sich: kann der Steinbruch das gewünschte Format zuschneiden, ohne uns die (finanzielle) Zukunft zu rauben?

Auf der Rückfahrt vom Tessin machen wir Mittagspause in Splügen und studieren eine Umgebungskarte. Ach, schau an. Die berühmten Therme von Vals liegen Luftlinie ganz nah, leider sind die dazwischen liegenden Berggipfel auf die Schnelle nicht überwindbar. Auf regulären Straßen müssten wir zwei Stunden investieren, das ist zu weit.

Wann immer wir von unserer Vorliebe für Naturstein sprechen, werden wir von Sachkundigen auf Vals und Peter Zumthor angesprochen. Ein Bekannter, der zu den 10 Prozent der Badegäste gehört, die nicht Architektur studieren, weist gestern darauf hin, dass Vals auf der Nordseite der Alpen liegt (Transport) und soviel in diesem Riegelformat vorweist, dass es für den liefernden Steinbruch inzwischen Routine sein müsse. Google sei dank finden wir das Familienunternehmen mit dem gewünschten Mauerwerk. Oh je, Norman Forster ist teuer... Aber es gibt auch Ferienhäuser. Ob die auch so teuer sind?

Die Natursteinexpertin unseres Vertrauens beurteilt den Stein und seine Qualitäten als überragend. Wenn ich es recht verstanden habe, wird er in Schichten abgebaut (oder ist er in Schichten aufgebaut?), auf jeden Fall ist dieser Stein eher problematisch für Großformate. Wir werden sehen...

Und noch ein Tessiner Haus

Der Architekturführer lockt mich in ein Dorf am Berg. Sophies Navigation flötet, ich solle direkt in den Ort fahren. Verbotsschilder finde ich keine, aber die Häuser stehen so eng, dass es mir nicht so recht erlaubt erscheint. Hinter mir hupt ein Tessiner und schwupps sind wir drin. Ob wir da jemals wieder rauskommen? Das gesuchte Flachdach auf Säulen finden wir nicht, eine kleine Hangstraße erspart uns das Wendemanöver und zweimal passieren wir ein Haus, das sich einprägt. So sehr, dass wir zwei Tage später noch einmal mit Fotokamera und Kind zurückkommen. Während Kind das Auto hütet, mache ich schnell die Bilder. Das Schild vor dem Haus können wir später identifizieren...

Kann man etwas modernes in diesen historischen Ortskern bauen?

Man kann:





















Inzwischen haben wir das Schild gelesen und dank Internet erfahren, dass wir ein vom Künstler selbst entworfenes Atelier fotografiert haben. Ich hoffe, er nimmt uns das nicht übel.

Montag, 27. August 2007

Eine Woche im Tessin...

... mehr war nicht drin. Die ersten drei Tage regnete es aus allen Poren - der See stieg um einen Meter und wir mussten uns anstrengen, nicht an das Hochwasser von 2000 zu denken. Damals war unsere Abfahrt rechtzeitig genug, um unser Auto vor den Fluten zu retten -> zwei Stunden später war der Parkplatz geflutet. Und rechtzeitig genug, um den San Bernadino noch zu passieren -> am selben Tag wurde er nach einem Erdrutsch gesperrt.

Und doch waren die Regentage Erholung pur. Ob es am Licht oder dem auch im August funktionierenden Kaminfeuer liegt, dieser Ort tut gut. Der Rest der Woche steigerte sich von angenehmen Frühjahrstemperaturen bis zum Hochsommer. Ein typisches Tessiner Element haben wir bei unseren wetterunabhängigen Aktivitäten als endgültig wertvoll eingestuft: überdachte Freiflächen. Man mag sie Pergolen, Galerien oder Loggien nennen, die Überdachung schützt sowohl vor Wasser als auch vor einem Übermaß an Sonne.

Ein vor Ort erstandener Architekturführer erwies sich als nicht im ursprünglichen Sinne, aber doch sehr effizient. Sophies Navigationssystem führte uns trotz der etwas unorthodoxen Tessiner Straßenorganisation zuverlässig in die betroffene Region. Doch mal war der Blick auf das zu bewundernde Bauwerk durch eine riesige Plane verdeckt (Renovierung) oder neu hinzugekommene Wohnheime standen im Weg, deren Bewohner misstrauisch die Verrenkungen des Bau(m)herrinnen-Halses beobachteten. Da uns die Reise bevorzugt durch Anwohnerstraßen führte, entdeckten wir andere interessante Gebäude, die (noch) nicht im Architekturführer enthalten sind. Vorteil: unsere Wahrnehmung wurde nicht durch architekturdeutsch verwirrt.

Nachdem die Bau(m)herrin eines frühen Morgens im Bademantel nur durch Freikauf des Hotelpersonals vor einer Verhaftung gerettet werden konnte, wurde sie von Gemeinderatsvorsitzendem und Polizeichef zwei Tage später beinahe zur Ehrenbürgerin ernannt. Dann hielt auch noch das Schweizer Fernsehen uns für filmenswert. Der Kanal zeigt so gute Spielfilme, dass er schon vor Jahren aus unserem Netz gestrichen wurde - so müssen wir uns nicht ansehen.

Zurück zu unserem Leib- und Magenthema: Architektur. Gestern war Besprechung im Architektenbüro, diverse Elemente wurden um 90 Grad gedreht, Fenster eingebaut, Räume umgenutzt, Toiletten von Duschen getrennt und Wände so gestaltet, dass Kaminfeuer und Mozart in entlegenere Ecken dringen können. Wieder zu Hause verkündet Bau(m)herrin die frohe Botschaft: Ende nächster Woche wird das Baugesuch eingereicht. Bau(m)herrinenkind ist fassungslos: "Und dann?"
"Dann geht's los."
"Ihr könnt doch noch gar nicht anfangen!"
"Warum nicht?"
"Ihr wisst doch nicht, was Ihr überhaupt bauen wollt."

Ähem, das kommt davon, wenn man mit genervter Schnute gen Decke blickt, sobald ein Plan am Horizont erscheint...

Das scheint jetzt auch das Kind erkannt zu haben, Mutter zückt einen Plan und erläutert. Kind kann die Grube immer noch nicht leiden, hat den Platz an Mutter abgetreten. Jetzt dämmert ihm: das wird schön. Und schon haben wir wieder die Debatte, wer welches Anrecht auf welches Kaminfeuer hat. Das wird schon werden - wir haben ausreichend Platz, uns noch Jahrzehnte darum zu streiten.

Was der zielstrebigen Bau(m)herrin mehr auf der Seele lastet, ist das Fazit ihrer Architekturreise. Auf dem Rückweg haben wir das hartknäckige Navi gen Osten geleitet, sind durch das Bregenzerland gefahren und haben in einer kleinen Dorfstraße ein Schild passiert, das uns in Bayern willkommen hieß. Keine Zollposten, kein Schlagbaum, eine nahezu inexistente Grenze. Und doch ist für den Architekturinteressierten die Grenze unübersehbar. In Form von Erkerchen und Balkönchen, die nicht vernünftig nutzbar sind, aber Quadratmeter schinden. Bebauungspläne.

Unser Architekt ist bekanntlich kreativ, was die Interpretation dieser Vorschriften betrifft. Umso amüsanter, dass wir im dachformen-vorschriftsfreien Ascona zwei Häuser vorfinden, deren Not, aus der sie geboren wurden, uns nicht ersichtlich ist.







Unser Bebauungsplan sieht eine Dachneigung von max XY° vor, ein Minimum steht nicht darin. Also eigentlich... Aber man weiß nie, deshalb sind wir Ascona dankbar - man kann auch freiwillig so bauen.

Was wir im folgenden zeigen, kann man persönlich schön oder interessant oder grauenhaft finden. Uns geht es um einen zentralen Punkt: Vielfalt. Und eine Frage: muss alles, was vom Standard abweicht, gleichzeitig entsetzlich teuer sein?

Hier ein Haus in durchgefärbtem Beton:


Man kann die Bilder durch Anklicken vergrößern, dann sieht man die klassischen Betonmerkmale.


Ein weiterer Neubau mit einer Kombination aus Naturstein und Metalldach. Leider hier ein Merkmal, das Bau(m)herrin nicht behagt: die Fenster bestehen aus mehr Rahmen als Glas.



Dunkles Metall (ich werde mich nicht darauf festlegen, um welches genau es sich handelt) ist überhaupt gerade 'in'. Leider schwer zu fotografieren, im folgenden Bild handelt es sich um Lamellen, auch wenn die digitale Welt sie gerne als Kreise interpretiert.


Mit diesem Eingangsbereich ist sogar Bau(m)herrschaften-Nachwuchs einverstanden:



Und so sehen die Lamellen aus der Nähe aus:



Unser Lieblingshaus zeigen wir später in einem gesonderten Posting.