Montag, 27. August 2007

Eine Woche im Tessin...

... mehr war nicht drin. Die ersten drei Tage regnete es aus allen Poren - der See stieg um einen Meter und wir mussten uns anstrengen, nicht an das Hochwasser von 2000 zu denken. Damals war unsere Abfahrt rechtzeitig genug, um unser Auto vor den Fluten zu retten -> zwei Stunden später war der Parkplatz geflutet. Und rechtzeitig genug, um den San Bernadino noch zu passieren -> am selben Tag wurde er nach einem Erdrutsch gesperrt.

Und doch waren die Regentage Erholung pur. Ob es am Licht oder dem auch im August funktionierenden Kaminfeuer liegt, dieser Ort tut gut. Der Rest der Woche steigerte sich von angenehmen Frühjahrstemperaturen bis zum Hochsommer. Ein typisches Tessiner Element haben wir bei unseren wetterunabhängigen Aktivitäten als endgültig wertvoll eingestuft: überdachte Freiflächen. Man mag sie Pergolen, Galerien oder Loggien nennen, die Überdachung schützt sowohl vor Wasser als auch vor einem Übermaß an Sonne.

Ein vor Ort erstandener Architekturführer erwies sich als nicht im ursprünglichen Sinne, aber doch sehr effizient. Sophies Navigationssystem führte uns trotz der etwas unorthodoxen Tessiner Straßenorganisation zuverlässig in die betroffene Region. Doch mal war der Blick auf das zu bewundernde Bauwerk durch eine riesige Plane verdeckt (Renovierung) oder neu hinzugekommene Wohnheime standen im Weg, deren Bewohner misstrauisch die Verrenkungen des Bau(m)herrinnen-Halses beobachteten. Da uns die Reise bevorzugt durch Anwohnerstraßen führte, entdeckten wir andere interessante Gebäude, die (noch) nicht im Architekturführer enthalten sind. Vorteil: unsere Wahrnehmung wurde nicht durch architekturdeutsch verwirrt.

Nachdem die Bau(m)herrin eines frühen Morgens im Bademantel nur durch Freikauf des Hotelpersonals vor einer Verhaftung gerettet werden konnte, wurde sie von Gemeinderatsvorsitzendem und Polizeichef zwei Tage später beinahe zur Ehrenbürgerin ernannt. Dann hielt auch noch das Schweizer Fernsehen uns für filmenswert. Der Kanal zeigt so gute Spielfilme, dass er schon vor Jahren aus unserem Netz gestrichen wurde - so müssen wir uns nicht ansehen.

Zurück zu unserem Leib- und Magenthema: Architektur. Gestern war Besprechung im Architektenbüro, diverse Elemente wurden um 90 Grad gedreht, Fenster eingebaut, Räume umgenutzt, Toiletten von Duschen getrennt und Wände so gestaltet, dass Kaminfeuer und Mozart in entlegenere Ecken dringen können. Wieder zu Hause verkündet Bau(m)herrin die frohe Botschaft: Ende nächster Woche wird das Baugesuch eingereicht. Bau(m)herrinenkind ist fassungslos: "Und dann?"
"Dann geht's los."
"Ihr könnt doch noch gar nicht anfangen!"
"Warum nicht?"
"Ihr wisst doch nicht, was Ihr überhaupt bauen wollt."

Ähem, das kommt davon, wenn man mit genervter Schnute gen Decke blickt, sobald ein Plan am Horizont erscheint...

Das scheint jetzt auch das Kind erkannt zu haben, Mutter zückt einen Plan und erläutert. Kind kann die Grube immer noch nicht leiden, hat den Platz an Mutter abgetreten. Jetzt dämmert ihm: das wird schön. Und schon haben wir wieder die Debatte, wer welches Anrecht auf welches Kaminfeuer hat. Das wird schon werden - wir haben ausreichend Platz, uns noch Jahrzehnte darum zu streiten.

Was der zielstrebigen Bau(m)herrin mehr auf der Seele lastet, ist das Fazit ihrer Architekturreise. Auf dem Rückweg haben wir das hartknäckige Navi gen Osten geleitet, sind durch das Bregenzerland gefahren und haben in einer kleinen Dorfstraße ein Schild passiert, das uns in Bayern willkommen hieß. Keine Zollposten, kein Schlagbaum, eine nahezu inexistente Grenze. Und doch ist für den Architekturinteressierten die Grenze unübersehbar. In Form von Erkerchen und Balkönchen, die nicht vernünftig nutzbar sind, aber Quadratmeter schinden. Bebauungspläne.

Unser Architekt ist bekanntlich kreativ, was die Interpretation dieser Vorschriften betrifft. Umso amüsanter, dass wir im dachformen-vorschriftsfreien Ascona zwei Häuser vorfinden, deren Not, aus der sie geboren wurden, uns nicht ersichtlich ist.







Unser Bebauungsplan sieht eine Dachneigung von max XY° vor, ein Minimum steht nicht darin. Also eigentlich... Aber man weiß nie, deshalb sind wir Ascona dankbar - man kann auch freiwillig so bauen.

Was wir im folgenden zeigen, kann man persönlich schön oder interessant oder grauenhaft finden. Uns geht es um einen zentralen Punkt: Vielfalt. Und eine Frage: muss alles, was vom Standard abweicht, gleichzeitig entsetzlich teuer sein?

Hier ein Haus in durchgefärbtem Beton:


Man kann die Bilder durch Anklicken vergrößern, dann sieht man die klassischen Betonmerkmale.


Ein weiterer Neubau mit einer Kombination aus Naturstein und Metalldach. Leider hier ein Merkmal, das Bau(m)herrin nicht behagt: die Fenster bestehen aus mehr Rahmen als Glas.



Dunkles Metall (ich werde mich nicht darauf festlegen, um welches genau es sich handelt) ist überhaupt gerade 'in'. Leider schwer zu fotografieren, im folgenden Bild handelt es sich um Lamellen, auch wenn die digitale Welt sie gerne als Kreise interpretiert.


Mit diesem Eingangsbereich ist sogar Bau(m)herrschaften-Nachwuchs einverstanden:



Und so sehen die Lamellen aus der Nähe aus:



Unser Lieblingshaus zeigen wir später in einem gesonderten Posting.

2 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

das ist ja ein interessanter Bericht aus Ascona. Wie ich sehe wird da weiterhin fleissig gebaut. Als wir noch in Bellinzona wohnten, fuhr ich gerne mal mit dem Rad nach Ascona, etwa 35 km, seit wir im Tal wohnen liegt das nun leider nicht mehr drin.
Habe ich das richtig verstanden, Ihr seid vom Tessiner TV gefilmt worden?
Wann wird die Sendung ausgestrahlt?
LG Elisabeth

:: Katrin hat gesagt…

Es war das SF, ich weiß nicht ob 1 oder 2. Ein Hotelbericht, in dem wir eine kleine Rolle spielen durften :-) Irgend jemand meinte, es käme in 10 nach 10. Da wir SF nicht bekommen, habe ich mich nicht weiter darum gekümmert.

Ich habe an Dich und Dein Tal gedacht, das nächste Mal haben wir hoffentlich mehr Zeit. Auf dem Rückweg haben wir den San Bernadino Pass genommen - Irrsinn, diese Motorradfahrer :-(

LG Katrin