Samstag, 3. März 2007

Schleudertrauma...

Unser Häuslesprojekt kennt bisher nur zwei Gangarten:
  • Vollgas
  • Vollbremsung
Momentan schwant mir, dass nach der Vollgas-Woche wieder eine kräftige Bremsung von Nöten ist, damit keine Fehler passieren.

Im Laufe dieser Woche hat sich die vom Meisterarchitekten auferlegte Disziplin als goldrichtig erwiesen. Nach der ersten Besichtigung war ein Anbau ohne Debatte (und wir debattieren gerne!) in die Kalkulation eingeflossen. Während diverser Durchgänge (Diagnosetage, Entrümpelungs-Besprechung) drängte sich die Abriss-Option in den Vordergrund der Bau(m)herinnen-Visionen. Glücklicherweise gibt es heutzutage Werkzeuge wie google sketchup oder Hausdesigner, mit denen ich am Rechner das Häusle umbauen/abreißen und neue Häuser entwerfen konnte. Anders hätte ich meinen Schwur nicht durchgehalten: dem Häusle eine Chance zu geben und abzuwarten, bis es leer geräumt ist. Ich bin bis Mitte dieser Woche zwar oft oben gewesen, aber immer außen, vor allem im Garten gesessen. Wenn ich in's Haus musste, gab ich mir alle Mühe, nicht hinzuschauen.

Nicht wenige, mit denen ich darüber sprach, schüttelten den Kopf. Auch wurde mein Meisterarchitekt kritisiert, weil er sich so lange weigert, loszuplanen. Es war die Zeit der Zweifel und des Durchhaltens. In der Zwischenzeit entwarf der Unruhegeist in mir verschiedene Konzepte, setzte sich in den Garten, verwarf sie wieder, blätterte Abende lang in Büchern und durchsurfte so ziemlich jede Architektur-Website, die im Netz aufzufinden ist.

Das Thema Anbau führte zu einem Buch mit vielen internationalen Beispielen, ausgerechnet die Engländer gefielen. Völlig im Widerspruch zu meinem Neubau-Geschmack, der sich in Bregenz/Italien/Tessin/Schweiz festgesetzt hatte.

Erläuternder Einwurf: zwischen dem ersten W-Haus (W=Architekt), das sich als nicht realisierbar entpuppte und unserem jetzigen W-Häusle gab es ein Grundstück, das für einen Neubau in Frage gekommen wäre.

Das Buch über Anbauten studierte ich noch und nöcher, bis mitten in der zwangsverordneten Vollbremsungs-Phase das Heureka kam: Cottage. Ich lief tagelang um das Häusle, schaute nochmals die Geschwister an (die anderen Häuser dieses Architekten), wälzte weitere Bücher und Websites über Cottages und kam nicht auf den Trichter. Cottage leuchtete vor meinen Augen, aber warum?

In den Gesprächen enstand mit der Zeit der stehende Begriff: "Rosamunde Pilcher im Ländle". Niemand schrie auf - seltsam...

Eines Tages, es ist nicht so lange her, brachte die (für uns) neue Nachbarin es auf den Punkt. Als wir in ihrem Wohnzimmer saßen, meinte die studierte Architektin, das Haus erinnere sie immer an England. Wir liefen zum Fenster und sie zeigte mir den Kamin. Zu diesem Zeitpunkt konnte der Aspekt wirklich nur aus ihrer Wohnzimmer-Perspektive in seiner Deutlichkeit erkannt werden:



Der Kamin schließt plan mit der Giebelseite ab. Das ist ausgesprochen englisch und eher unschwäbisch. Am aller-unschwäbischsten ist die Tatsache, dass kein Dachüberstand an den Giebelseiten existiert. Ich freue mich schon auf lebhaften Widerspruch. Die Bücher und websites, die ich bisher gewälzt habe, unterstützen die Theorie ebenso wie die Kommentare der betrachtenden Schwaben. Vor allem, seit die Seite freige(r)-b-äumt ist.

Allerdings hat in den letzten Tagen das Häusle neue Eigenschaften offenbart, die eher im Widerspruch zur Leitlinie 'Cottage' stehen. Auf dem Bild oben ist es nicht zu erkennen, das ist eindeutig die Cottage-Seite. Von der Küche (links vorne mit kleinen Fenstern) abgesehen hat das Erdgeschoss eine Höhe von 2m90.



Die Türen widerum sind äußerst Cottage-tauglich, da exakt einen Meter niedriger. Marc - Du gehörst dazu, und wenn wir die Stürze polstern müssen!!

Diese Raumhöhe ist nicht unbedeutend - Freitag stand ich vor der eigentlich schon endgültig verabschiedeten Wand und dachte: eine Doppeltüre reicht. Ach ja und Anbau? Ist, seit halbwegige Entrümpelung passierte, irgendwie von der Tagesordnung gerutscht. Nächsten Dienstag wird das erste Planungstreffen mit Meisterarchitekt stattfinden. Oberste Priorität: einen Bezug zwischen Haus und Garten schaffen.

Abschließend das Häusle bei feinstem Sonntagswetter:



Die Westseite:



Das nordwestliche Eckfenster beherbergt einen Mini-Raum, ursprünglich mit Eckbank und Klapptisch ausgestattet. Bau(m)herrin vermutete, dass es sich um einen Hausfrauen-Ausguck handelt. Dass es schwäbische Hausfrauen gibt, die exakt registrieren, wann und ob die Bettwäsche gelüftet oder der Bademantel getragen wird, weiß sie definitiv aus persönlicher Erfahrung. Der Einwand des Verkäufers, seine Tante habe im Leben nie die Muse für derartige Aktivitäten gehabt, leuchtete ihr angesichts der entrümpelten Einmachgläser und Gartenspuren jedoch ein. Auch passte die Anordnung der Eckbank unter den Fenstern nicht zu ihrer Theorie.

Die beste Bau(m)verwandschaft löste das Rätsel, obwohl die Einrichtung inzwischen entfernt war. Das ist ein Nähzimmer, auf dem Klapptischle stand die Nähmaschine. Ob die Bau(m)herrin für ihren schmählichen Verdacht Buße tun sollte, indem sie das Zimmerle beibehält und dort die textile Ausstattung des Häusles fabrizieren wird?

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